Hochschulen: Die ersten Universitäten in Bologna, Oxford und Paris

Hochschulen: Die ersten Universitäten in Bologna, Oxford und Paris
Hochschulen: Die ersten Universitäten in Bologna, Oxford und Paris
 
Das Bildungswesen des frühen Mittelalters war geprägt durch die Kloster- und Kathedralschulen, die aber jeweils nur eine örtliche oder regionale Bedeutung hatten. Sie waren primär Ausbildungsstätten für eine kirchliche Aufgabe oder eine Stelle in der staatlichen Verwaltung. Mit der wachsenden Bedeutung der Städte, dem immensen Zustrom des Wissens aus der arabischen Kultur und der Wiederentdeckung des bedeutendsten Philosophen und Gelehrten der Antike, des Aristoteles, kam es - entsprechend den Handwerkszünften - zu Zusammenschlüssen von Lehrern und Studenten. Diese Einheit - nicht die Gesamtheit der Wissenschaften - ist gemeint, wenn im Mittelalter von »Universitas« die Rede war. Der Professor hatte den Titel »Magister«, der mit dem Wort »Meister« zusammenhängt und auch der Rechtsstellung eines Handwerksmeisters entspricht. Mit dieser Stellung waren bestimmte Rechte und Pflichten verbunden: in zuverlässiger Weise autoritative Texte auslegen, Prüfungen abnehmen und so weiter.
 
Die Ursprünge der einzelnen Universitäten sind heute nicht mehr vollständig aufhellbar. Bologna und Paris streiten sich um die Ehre, die älteste Universität in Europa am Ende des 12. Jahrhunderts zu sein. Von keiner kennt man wie bei den späteren das Gründungsdatum. Die Universitäten gewinnen schnell internationale Bedeutung (erst mit den vielen und manchmal nur kurzzeitig lebensfähigen Universitäten ging eine Regionalisierung einher). Ihre Gliederung war eine mehrfache. Die erste betrifft die Verschiedenheit der Disziplinen: die Fakultäten. Nicht alle Universitäten besaßen wie Paris alle vier Fakuläten. Die Fakultät der »Artes«, der ursprünglich »sieben freien Künste« umfasste das Trivium von Grammatik, Dialektik und Rhetorik und das Quadrivium von Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie. Im Lauf der Jahre wurde aber von diesem klassischen, auf die Antike zurückgehenden Bildungskanon der Akzent immer stärker auf die Logik einerseits und die Naturphilosophie andererseits gelegt. Die Fakultät der »Künste«, in die man schon mit etwa 14 Jahren eintrat, mussten alle Studenten als ein Grundstudium durchlaufen.
 
Nachdem die Studenten dort sechs Jahre studiert hatten, konnten sie in die höheren Fakultäten wechseln: Theologie, Jurisprudenz (kirchliches und/oder weltliches Recht), Medizin (noch Goethe lässt seinen Faust sie am Anfang alle resigniert aufzählen). Auch dort musste ein langes und intensives Studium absolviert werden. Während die Lehrer der »Künste« meist nur ein sehr bescheidenes Leben führen konnten, galten Medizin und Jurisprudenz als die eigentlich lukrativen Studiengänge.
 
Die zweite noch wichtigere Untergliederung der Universitäten ist die in »Nationen«, die Zusammenschlüsse von Lehrenden und Lernenden im Hinblick auf ihre geographische Herkunft; diese Nationen stimmen jedoch mit den heutigen europäischen Staaten nicht überein: Zur »englischen Nation« in Paris, die später die deutsche genannt wurde, gehörten Dozenten und Studenten von den Britischen Inseln, aus dem Deutschen Reich, aus den skandinavischen und slawischen Ländern sowie aus Ungarn. Innerhalb dieser Nationen wurde durch Berufung von Professoren und Anmietung von Häusern der universitäre Unterricht organisiert. Die großen Universitäten besaßen eine auf ganz Europa sich erstreckende Strahlkraft. Sie waren meist für ein Fach besonders berühmt: Bologna für die Rechtswissenschaft, Padua für die Medizin, Paris und Oxford für die Theologie. Albertus Magnus hat Paris aber auch »die Stadt der Philosophen« genannt. Internationale Beweglichkeit war von immenser Konkurrenz begleitet. Die Orden, deren große Hochschulen zum Teil Keimstätten für die Universitäten oder diesen zugeordnet waren, schickten aus ganz Europa nur ihre begabtesten jungen Leute in die großen Zentren. Wie auch später war das Studium eine teure Angelegenheit.
 
Den Entbehrungen des Studiums standen die Freuden des studentischen Lebens gegenüber. Die Studenten waren in Wohnheimen (Kollegien, »Colleges«) untergebracht, wurden dort natürlich einer strengen - aber immer wieder auch durchbrochenen - Disziplin unterworfen. Wie auch die Professoren unterstanden die Studenten einer eigenen Gerichtsbarkeit. Die Universitäten hatten sich eigene Statuten gegeben, die ihnen eine gewisse Autonomie sicherten - zumindest gegenüber der Stadt und dem jeweiligen Staat. Innerhalb einer feudalen Gesellschaft war die Universität eine Institution mit demokratischen Strukturen: Man gelangte durch Wahl und auf Zeit in ihre Ämter (Rektor, Dekan, Prokurator und so weiter).
 
Die universitäre Lehre vollzog sich in der Hauptsache in zwei Formen: der Vorlesung, in der klassische Texte des Faches gelesen und interpretiert wurden, und den Disputationen, in denen im Seminarstil über Sachfragen diskutiert wurde. Nicht zufällig entsprechen die literarischen Formen der mittelalterlichen Wissenschaft weitgehend diesen Unterrichtsformen. Zweimal im Jahr, vor Weihnachten und vor Ostern, stellten sich die Professoren einer besonderen Disputation, bei der »beliebige Fragen« an sie gerichtet werden konnten.
 
Die Institution der Universitäten gehört zu dem Bestand, in dem das Mittelalter am sichtbarsten in der Neuzeit und bis in die Gegenwart - trotz aller Wandlungen im einzelnen - wirksam geblieben ist. Zu der sich international verstehenden Gesellschaft des Adels und des Klerus tritt mit der Universität die der Gelehrten. Hier bildet sich also die dritte Komponente für eine europäisch agierende Gemeinschaft. Erst am Ende des Mittelalters wird die Universität eine konservative Institution, die dann von den großen Gelehrten zugunsten der Akademien oder der »Gelehrtenrepublik« gemieden wird. Die bedeutendsten Köpfe des hohen Mittelalters haben jedoch an der Universität studiert und gelehrt.
 
Prof. Dr. Rolf Schönberger
 
 
Lindberg, David C.: Von Babylon bis Bestiarium. Die Anfänge des abendländischen Wissens. Aus dem Amerikanischen. Stuttgart u. a. 1994.
 Lindgren, Uta: Die Artes liberales in Antike und Mittelalter. Bildungs- und wissenschaftsgeschichtliche Entwicklungslinien. München 1992.

Universal-Lexikon. 2012.

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